»Pass uf, dass nit abekaisch.« Es waren nur ein paar Worte. Ein paar Worte? Von wegen, es waren genau diese Worte, die nach unserem Besuch beim Blarney-Stein auf Schloss Blarney durch die irische Presse gingen. Fernsehen, Zeitungen, egal. Überall haben wir diesen einen Satz gelesen, der die Insel in hellen Aufruhr versetzte. Seit mehr als 200 Jahren pilgerten Menschen aus allen Teilen der Welt nach Cork, um ihre Lippen kurz auf den Stein der Beredsamkeit bzw. der Sprachgewandtheit zu drücken.
Viele tun dies tatsächlich mit der Absicht oder gar im festen Glauben, durch den Stein besser frei sprechen zu können. Andere machen das, weil es alle machen. Und wiederum andere haben erkannt, dass mit dem Kuss des Steins ein Ritual verbunden ist, durch welches man tatsächlich selbstsicherer wird. Ganz einfach dadurch, weil es eine bewusste Handlung ist, die den Charakter und das Selbstwertgefühl stärkt.
Eindrücke unseres Besuchs von Blarney Castle bei Cork mit dem Stein der Beredsamkeit und Spaziergang durch den verspielt mystischen Garten unterhalb vom Schloss.
Aber noch nie zuvor hatte jemand den Stein der Beredsamkeit bzw. den Stein der Sprachgewandtheit selbst reden gehört. Allein das hatte ausgereicht, um Schlagzeilen zu produzieren. Tatsächlich häuften sich nach unseren Besuch die Namen deren, welche eine Stimme gehört haben wollten, just in dem Moment, als sie sich rücklings zum Stein hinunter beugten. Doch was bedeuteten die Worte, die der Stein den Besucher zuflüsterte?
Während Historiker rätselten und eine Theorie nach der anderen verwarfen, erlebte das Schloss Blarney einen Ansturm wie nie zuvor. Wo sonst Busse und Pkws parkten, campierten die Menschen in der Hoffnung, an einem der nächsten Tage Zutritt zur Burg zu bekommen. Um das größte Chaos abzuwenden, verteilte die Burgverwaltung Zettel, die regelten, wer zu welcher Zeit zum Stein vorgelassen wurde.
Zugleich stritten die Sprachforscher, ob es sich bei dem Satz um eine Sprache, einen Dialekt oder einfach nur ein sinnfreies Kauderwelsch handelte. »Pas« sahen einige als Hinweis auf die französische Sprache, während andere im »das« ein deutsches Wort zu erkennen glaubten. Dritte wiederum hielten es für wahrscheinlich, dass mit letzten Wort nur ein »Kai«, also eine Hafenmauer gemeint sein könne.
Um das Rätsel zu lüften, wurden schließlich all die Besucher nach Blarney eingeladen, welche den Stein kurz vor dem mysteriösen Satz geküsst hatten. Damit kamen auch wir ein zweites Mal zum Stein von Blarney. Und brachten nichts Geringeres als die Lösung mit. »Pass uf, dass nit abekeisch« entstammt dem Alemannischen und bedeutet schlicht: »Pass auf, dass Du nicht herunterfällst.«
Damit wissen wir nun auch, was passiert, wenn ein norddeutscher Dampfplauderer auf den Stein der Beredsamkeit trifft. Wobei die Warnung durchaus berechtigt ist. Denn um den Stein an seiner Unterseite zu berühren, muss man sich ganz schön weit nach unten strecken.
So soll 1946 ein Mann beim Versuch, den Stein zu erreichen, in die Tiefe und damit zu Tode gestürzt sein. Damit sich solch tragische Unfälle (oder war es Mord?) nicht wiederholen, wurden Gitter unterhalb des Steins angebracht und wird man beim Hinunterbeugen sicher gehalten.
Das Schloss von Blarney zählt zu den Besuchermagneten im County Cork. Aber was heißt zählt? Blarney Castle ist der Besuchermagnet in Cork, weshalb wir auch diese Burg möglichst früh besuchen sollten. Zu verdanken haben wir dies dem Stein der Beredsamkeit. Allein seinetwegen kommen Berühmtheiten und Staatsmänner aus aller Welt hierher, um mit Stan Laurel und Oliver Hardy nur mal zwei zu nennen.
Die ersten Besucher pilgerten vor über 200 Jahren zum Stein von Blarney. Die Geschichte der Burg indes begann 900 Jahre früher. Als erste Festung wurde im 10. Jahrhundert eine Holzburg aufgestellt, die um das Jahr 1210 durch einen Steinbau ersetzt wurde. Wie wichtig es damals war, sich vor Angreifern zu schützen, zeigt der Eingang: er befand sich auf der Nordseite sechs Meter über dem Boden.
Nachdem die zweite Burg vollständig zerstört wurde und die Mauern bis zum Fundament niedergerissen worden waren, ließ Dermot McCarthy, der König von Munster, die dritte Burg errichten. Aus dieser Zeit ist noch der Bergfried erhalten. Allerdings erlebten auch die McCarthys eine eher unruhige Epoche auf ihrer Burg.
Dies gilt insbesondere für das Jahr 1646, als Oliver Cromwells Truppen Blarney Castle mit Kanonen angriffen. Ihr Plan, die McCarthys gefangen zu nehmen und die Schätze der Burg zu rauben, hingegen scheiterte. Denn die Burgbewohner waren mitsamt ihren Wertgegenständen durch drei Tunnel geflohen.
15 Jahre später konnten die McCarthys ihre Burg wieder in Besitz nehmen. Doch die Freude währte nur kurz: 1690 wurden alle irischen Adligen entmachtet und enteignet. Damit waren auch die McCarthys gezwungen, Blarney zu verlassen. 1703 kaufte Sir James Jefferyes, der Gouverneur von Cork, die Festung und den weitläufigen Park.
Da es bei der Burg spätestens mit Ankunft der Reisebusse sehr schnell voll wird, empfiehlt es sich, zuerst zum Blarney Stein zu gehen. Der Weg führt vom Eingang zunächst über den River Martin zum Arboretum, dann auf dem Cherry Walk (Kirschweg) über den Blarney River zum Verließ der Burg.
Um 10.15 Uhr erreichen wir die Burg. Sie steht direkt auf einer acht Meter hohen Felskante, bei der sich der Steinbruch zum Bau der Festung befand. Die ohnehin imposante Sicht auf die nördliche Mauer wird noch durch die Wände verstärkt, welche schräg nach innen vor uns aufragen. Um zum Stein der Beredsamkeit zu kommen, müssen wir bis zum oberen Bergfried hinaufsteigen.
Schön finden wir, dass wir auf den einzelnen Etagen einiges im lockeren Erzählstil über die Burg und die Funktion der einzelnen Bereiche erfahren. So passieren wir im Untergeschoss das »Murder Hole«. Es befindet sich direkt über den Eingang und ermöglichte es, ungebetenen Gästen von oben ziemlich übel zuzusetzen.
Über eine ausgetretene Wendeltreppe gelangen wir in die Große Halle, zum Raum des Earls und den Zimmern der Familie. Viel interessanter sind jedoch die Geschichten auf dem Weg zum Stein. So wurde 1904 für die Weltausstellung von in St. Louis, Missouri, ein Nachbau der Burg gezeigt. Amerikaner, die nicht in der Lage waren, Blarney zu besuchen, sollten dadurch eine Vorstellung von diesem Ort bekommen.
In den 1940er erhielt das Blarney Castle ein Angebot über eine Million US-Dollar, um den Stein für eine Weile in den USA zu zeigen. Allerdings blieb der Stein der Beredsankeit in Blarney. Zum einen fürchteten die Iren, dass ihn die Amis entgegen dem Angebot Nachbildungen anfertigten oder ihn behielten. Und zum anderen waren sie sicher, dass mit dem Stein auch die Touristen aus Cork verschwinden würden.
Nach der Aufregung um den Blarney Stein ist ein Spaziergang durch die Gärten von Blarney genau das Richtige, um wieder runterzukommen. Und dafür sollte man sich ruhig Zeit lassen. Denn der Schlossgarten von Blarney beinhaltet einige Besonderheiten und schöne Ecken.
Von der Burg aus gesehen erfolgt der Zugang über die ehemaligen Ställe von Blarney. Wo wir den Übergang von der Lime Avenue zur New Lime Avenue erreichen, laufen wir geradeaus, sodass wir bald zu einem Wasserfall kommen. Dieser Bereich zählt zur Felsengrotte von Blarney.
Auf engem Raum führen hier verschlungene Pfade zu liebevoll arrangierten Felsformationen. Beim Wasserfall halten wir uns links, womit wir durch einen mit Eiben und Eichen überstandenen Garten zur Promenade kommen. Etwas oberhalb vom River Blarney führt uns diese durch den Wassergarten zu einem Dolmen. Zur neolitischen Zeit wurden solche Anlagen auf allen britischen Inseln errichtet. Vom Grabportal sind es rechts nur wenige Schritte bis zu den »Wishing Steps«.
Laut der Legende soll vor hunderten von Jahren die Hexe von Blarney auf dem Anwesen Feuerholz für ihre Küche gesammelt haben. Als Gegenleistung muss sie den Besuchern von Blarney Wünsche erfüllen. Klingt gut. Eine kleine Hürde ist aber doch zu nehmen: damit der Wunsch in Erfüllung geht, muss man die Stufen mit geschlossenen Augen hinunter und wieder herauflaufen, ohne auch nur einen Moment an etwas anderes als den Wunsch zu denken.
Ob sich mein Wunsch erfüllen wird, ist fraglich. Nur allzu gerne hätte ich dem Stein der Beredsamkeit das Sprechen - und sei es nur ein kurzer Satz - beigebracht. Dabei ist es sogar gut möglich, dass ich auf der unebenen und dadurch bei geschlossenen Augen etwas tückischen Treppe an nichts anderes gedacht habe. Dummerweise habe ich aber vor lauter Konzentration den Rückweg vergessen.
Einen Katzensprung weiter befindet sich die Hexenküche. Fragt man die Historiker, soll es sich dabei um das Heim der ersten irischen Höhlenbewohner handeln. Doch wer am frühen Morgen hierher kommt, wird vielleicht die sterbende Glut eines Feuers entdecken. Nachts wird dieses von der Hexe entfacht, wenn sie bei ihrer Flucht aus dem Hexenstein versucht, die Kälte zu vertreiben.
Der Hexenstein selbst befindet sich südlich der Höhle. Man muss schon etwas genauer hingucken, dann aber ist das Antlitz der Hexe in der Form des Findlings klar und deutlich zu erkennen. Glauben wir der mündlichen Überlieferung, so war die Hexe die erste, welche McCarthy von der Macht des Steins von Blarney erzählte. Besucher haben von ihr aber nichts zu befürchten. Denn sie flieht erst nach Einbruch der Nacht aus dem Hexenstein - und der Park schließt zur Abenddämmerung.
Nachdem wir auch den Druidenkreis und einen Opferaltar gefunden haben, verlassen wir die mystische Felsengrotte und unternehmen noch einen Abstecher zum Blarney Castle House. Auch wenn dieses privat ist, öffnet uns der Weg doch eine schöne Sicht über die Rasenflächen und Blumenrabatten zu dem mit etlichen Erkern versehenen Klotz. Der Rückweg führt dann durch das zweite Arboretum. Eine Herausforderung ist hier eine mächtige Scheinzypresse.
Einer ihrer Stämme berührt fast den Boden, sodass man darauf sitzen kann. Die einzige Schwierigkeit ist, dort hinauf zu gelangen. Denn der Stamm ist nicht nur dick, sondern oben auch glatt. Um mit einem Schwung auf die sitzähnliche Biegung zu kommen, muss man sich entweder möglichst weit oben bzw. hinten auf dem Stamm aufstützen - oder lässt sich helfen. Dann aber ist es kinderleicht, ein schönes Foto aufzunehmen, eh die nächsten an der Reihe sind.
Apropos an der Reihe: als wir den Park wieder verlassen, staunen wir nicht schlecht, als wir nochmals beim Blarney Castle vorbeilaufen. Dort, wo wir am frühen Vormittag einfach durchspazieren konnten, hat sich bis zur Mittagszeit eine riesige Schlange gebildet. Während es unten nur noch im Schneckentempo vorangeht, ist oben Eile geboten.
So hat es den Anschein, dass sich mehrere Besucher nicht trauen, sich ganz zum Stein der Beredsamkeit herabzubeugen. Tatsächlich aber werden sie nur ein kurzes Stück hinuntergelassen, sodass sie sich mit dem oberen Teil begnügen müssen. Das erklärt dann auch, warum viele, die sich für wortgewandt halten, doch nur oberflächliches Geschwafel von sich geben ...