»Ich habe da noch einen Super-Geheimtipp!«, verspricht Lars auf dem Weg von Antrim zu den Ruinen von Castle Roche. Er grinst mich fröhlich an. Bei unserem letzten Geheimtipp waren wir unbefugt auf das Areal von Shane’s Castle gefahren.
Das Manöver hatte uns ein schönes Erlebnis beschert. Dazu gehörte aber auch das Glück, erst spät ertappt zu werden. Im Gegensatz dazu droht bei Castle Roche keinerlei Unbill. Es ist ein National Monument. Somit steht es jedem offen. Vorausgesetzt natürlich, er findet es.
Die Burg von Castle Roche entstand auf einem Kalksteinfelsen in der Nähe von Dundalk. Darum auch der Name Roche, der sich vom französischen Wort für Felsen ableitet. Die Gegend, durch die wir fahren, ist äußerst flach. Folglich müsste der Burgberg doch irgendwann zu sehen sein. Wir befinden uns im Grenzgebiet von Nordirland und der Republik Irland. Nur am Navi ist zu erkennen, dass wir die Grenze bereits passiert haben.
Denn plötzlich wechselt die Angabe von Meilen zu Kilometer pro Stunde. Nun leitet es uns durch schmale Straßen, eingefasst von hohem Buschwerk. Das haben wohl beide Teile Irlands gemein. Erst auf dem letzten halben Kilometer tritt die Burg auf ihrer Erhebung in Erscheinung. Zugegeben, ich habe mir Lars' Super-Geheimtipp deutlich kleiner vorgestellt.
Viele Besucher werden hier offensichtlich nicht erwartet. Auf der Straße passen keine zwei Autos aneinander vorbei. Einen Parkplatz gibt es nicht. Schließlich quetschen wir unser Auto vor ein Weidegatter. Möge der Bauer die nächste halbe Stunde doch bitte fernbleiben. Dann schon stehen wir vor dem nächsten Problem. Denn das Grundstück der Burg ist von einer schier unüberwindbaren Buschhecke umgeben. Um zur Ruine zu gelangen, klettern über das nächstbeste Gatter.
Sowie diese kleine Hürde gemeistert ist, steht die Burg überraschend frei vor uns in der Landschaft. Ließe sich der Bergfried erklimmen, hätte man Sicht bis Nordirland. Kunststück. Bis dorthin trennen uns keine zwei Kilometer Luftlinie. Kaum bemerken wir, wie schön einsam es hier ist, da kommt uns eine Chinesin entgegengelaufen. Sie ist zum Glück alleine unterwegs, was bei Chinesen selten vorkommt. So erleben wir das Castle Roche tatsächlich als einen kleinen Geheimtipp auf unserer Tour.
Der Überlieferung nach soll die Burg im Jahr 1236 von der Witwe Rohesie de Verdun (auch Rohese de Verdon) erbaut worden sein. Sie benötigte eine Festung als Schutz ihrer Ländereien gegen Plünderer. Natürlich ranken sich einige Legenden um Rohesia und das Castle Roche. So soll sie versprochen haben, den Mann zu ehelichen, welcher ihr eine wehrhafte Burg errichtet. Alsbald fand sie ihren Baumeister und bekam das gewünschte Bollwerk. Doch des Meisters Glück währte nicht lange. Noch in der Hochzeitsnacht stieß sie ihn aus dem »Mordfenster«.
Er sollte keine weiteren Burgen mehr nach denselben Plänen bauen können. Später trat Rohesie dem Augustinerorden bei und lebte als Nonne im Priorat Grace Dieu bei Leicestershire. Nach ihr soll ihr Sohn Theobald die Festung deutlich erweitert haben. Auch dadurch lässt sich vor Ort nicht erkennen, welches der Fenster das der bösen Tat war. Dafür entdecken wir auf dem Rückweg zum Auto eine winzige Drehtür. Sie ist fast komplett im Buschwerk eingewachsen. Zugleich verrät sie, dass der Zugang zur Burg wirklich jedem offen steht.